erzählkunst

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Hieronymus Himmelfahrt hebt ab

Hieronymus Himmelfahrt hebt ab

 Barbara Leutwiler

Hieronymus Himmelfahrt hatte soeben seinen wissenschaftlichen Höhenflug erfolgreich begonnen. Es ist ihm gelungen zwei verschiedene Arten miteinander zu klonen, ein Säugetier mit einem Vogel. Im Wissenschaftsjournal stand sein Name und der seines neu geschaffenen Wesens – ein Sus scrofa Gallus Pegasus! Seiner Nachbarin, Frau Spörndli erklärte er seine Neuschöpfung als «Flugschwein», eine Verquickung von einem Hausschwein mit einem Huhn, mit sehr guten Flugeigenschaften. Frau Spörndli schien durchaus interessiert: «Ja kann denn das Flugschwein nun Eier legen? Hat es Federn? Grunzt oder gackert es? Kann man es essen und welches Fetty Fossi Rezept muss ich dann nehmen, das für Schweinebraten oder das für Schmorhühnchen?» Geduldig beantwortet Hieronymus Himmelfahrt, seinem Ersatz-Grosi, wie er sie liebevoll zu nennen pflegt, die Fragen. Schliesslich wohnen sie Tür an Tür in einem alten Bauernaus im Klettgau, mit Garten, einem Hausschwein im Stall und ein paar Hühnern im kleinen Obstgarten. Bei der letzten Frage allerdings blieb er die Antwort schuldig: «Für was brauche ich ein Flugschwein? Könntest du nicht etwas Nützliches wie ein Haarwuchsmittel erfinden? Mein schütteres Haar würde gut ein paar Nachbarn mehr vertragen, das sind mittlerweile Einzelgänger und du, du hättest es doch auch nötig!» Das brachte ihn etwas aus der Fassung. Grosi Spörndli traf da seinen wunden Punkt, sein fehlendes Haupthaar. Hätte er welche, würde er sie lang tragen und nie schneiden, wie der biblische Held Simson. Seine ungeschnittenes Haupthaar verhalf diesem zu unbändiger Kraft. Er litt seit Kindheit an seiner Haarlosigkeit, wurde in der Schule gehänselt und wünschte sich nichts sehnlicher als Haar – dann wäre er endlich ganz sich, vollkommen und stark. Grosi Spörndli unterbrach seine innere Nabelschau, das Suppenhuhn auf dem Herd bedurfte ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit. Etwas an der Frage seiner Nachbarin liess ihn nicht zur Ruhe kommen. Es war schon verrückt, was die Wissenschaft alles vermochte, aber gegen das Heer der unfreiwilligen Glatzenträger schien kein Kraut gewachsen. Unglaublich, nicht wahr – die Menschen fliegen auf den Mond und wollen ihn bebauen, doch der haarlose Acker auf dem Kopf, konnte bis heute nicht bestellt werden. Sein Gedankengang wurde unterbrochen von einer Messenger-Nachricht. Sein Freund liess ihn wissen, dass die Geheimdienste und die NASA ihre Daten über die UFOs freigaben. Hieronymus Himmelfahrt war zwar Wissenschaftler, glaubte aber an ausserirdisches intelligentes Leben. Beruf und Berufung für ihn kein Wiederspruch, er konnte es nur noch nicht beweisen. Irgendwo da draussen gab es Wesen, die weiter waren als wir, entwickelter, die bestimmt die Lösung vieler menschlicher Probleme hätten. Und so fasst Hieronymus Himmelfahrt einen wahnwitzigen Entschluss. Frau Spörndli hatte recht, mit ihrer Frage, für was ein Flugschwein. Er hatte nicht darüber nachgedacht, aber nun konnte er es klar sehen. Er war wohl auf einem Auge blind gewesen. Das Sus scrofa Gallus Pegasus war nicht seine Erfindung, es war eine Inkarnation eines ausserirdischen Wesens, ein Kontakt von einer anderen Galaxie zu ihm, dem Auserwählten! Schnell packte er seine goldene Reisetasche und eilte ins Forschungszentrum. Dort befreite er sein Flugschwein, das er nun mit anderen Augen sah. Es würde ihn zu seinem Heimatplaneten führen und dort gab es bestimmt eine Lösung für so etwas profanes, wie fehlenden Haarwuchs. Er nahm den Bus zur Alp Babental und wanderte zum Zelgli. Beim Täuferstein hob Hieronymus Himmelfahrt mit seinem Flugschwein zu seiner Reise in unbekannte Welten ab. Im Geiste sah er sich schon auf der Titelseite des Science Magazins: Erlösung aller Haarlosen durch Hieronymus Himmelfahrt und seines Sus scrofa Gallus Pegasus. Das stumme Leiden würde ein Ende haben. Die Zeit schien eine andere, ein Tag kamen ihm wie tausend Jahre vor und doch nur kurz wie ein Augenblick.

Hieronymus Himmelfahrt landete mit seinem Flugschwein im Kräutergarten im Kloster zu Allerheiligen. Behänd hüpfte das Flugschwein in Hieronymus goldene Reisetasche. Das was er erlebte, hat seine kühnsten Erwartungen übertroffen. Es gab diese andere Welt mit intelligenten Wesen! Was er gesehen hatte konnte er kaum in Worte fassen. Seine Erkenntnisse waren bahnbrechend, er hatte das Haarwuchsmittel! Dabei fiel es nicht ins Gewicht, dass die Haare an unpassender Stelle wuchsen, das war einfach der fehlenden Sprachkenntnisse seinerseits geschuldet, ein Verständigungsproblem, nichts weiter. Wer konnte schon die Sprache einer anderen Galaxie?! In den folgenden Wochen schien es Hieronymus Himmelfahrt, als hätte er auch hier auf der Erde Verständigungs-Schwierigkeiten. Er wollte ein Team aus Experten zusammenstellen, Natur- und Sprachwissenschaftler, Medizinern etc. Zudem brauchte er mehr Geld für seine Expedition ins All und die Zucht der Flugschweine. Doch es schien ihn keiner zu verstehen. Niemand nahm ihn ernst. Nur in einem waren sich alle einig, die Behaarung an unpassender Stelle war wohl ein Merkmal einer Sekte. Er habe offensichtlich den Weg der Wissenschaft verlassen, sei zu den Pseudowissenschaftlern konvertiert und schwurble etwas von intelligenteren Wesen und anderen Welten. Nur sein Ersatz-Grosi glaubte ihm. Wo sonst kamen die überlangen Nasenhaare her? Haare hatte er jetzt, doch war er glücklicher, vollkommener, kraftvoll wie Simson, mehr sich selbst? Hieronymus Himmelfahrt war hart gelandet und am Ende. Die Säulen dessen, was er zu sein schien und glaubte, alles brach über ihm zusammen. Waren denn alle mit Blindheit geschlagen, war er blind oder gar verrückt? Grosi Spörndli lud ihn zu einer stärkenden Suppe ein, Hühnerbrühe war jetzt das Richtige, das kuriert allerlei Krankheiten und Zipperlein - eine gute Suppe erdet. Sie ging in den Garten, das Beil in der Hand, um ein Suppenhuhn zu schlachten. Frieda wäre an der Reihe, ihr Lieblingshuhn. Gackernd scharrten die Hühner im Gras und pickten Würmer, unter ihnen das Flugsäuli. Es schien etwas deplatziert und sie wollte schon immer wissen, wie so ein Flugschwein schmeckt, zudem lag ihr Ferida am Herzen. Hieronymus würde bestimmt nichts dagegen haben, er hatte ja jetzt sein Mittel für Haarwuchs, wenn auch an unpassender Stelle.

Freudig tischt Grosi Spörndli die Suppe auf. Fürsorglich holt sie eine Haargummi und bindet Hieronymus die Nasenhaare hinten am Kopf zusammen. «Nicht, dass du noch ein Haar in der Suppe findest!» Fetty Fossi würde sich sicher über das neue Rezept «Grosi Spörndlis Flugschwein-Suppe» freuen. Wenn schon nicht die Wissenschaft, so wusste wenigsten sie die Erfindung ihres Nachbarn kulinarisch zu schätzen. Hieronymus Himmelfahrt schlürfte genussvoll die vermeintliche Hühnerbrühe und verspürte sogleich eine wärmende Kraft in sich – so muss es sich anfühlen, wenn man bei sich ankommt. So hatte sein Flugsäuli doch noch einen sinnvollen Zweck erfüllt!